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Zwischen der Klägerin und dem Versicherer bestanden mehrere Versicherungsverträge. Die Klägerin hatte mit dem Versicherer einen Lebens- und einen Krankenversicherungsvertrag abgeschlossen. In der Krankenversicherung war ihr Ehemann mitversichert. Der Ehegatte der Klägerin hatte beim Versicherer einen Unfallversicherungsvertrag, einen KFZ-Haftpflicht- und einen Rechtsschutzversicherungs-vertrag abgeschlossen. In der Unfallversicherung war die Klägerin mitversichert.
Nach einem Wechsel in der Person des Versicherungsmaklers (nunmehr Makler-GmbH) entschied die Klägerin mit ihrem Ehegatten, die bestehenden Verträge beim Versicherer mit Ausnahme des Krankenversicherungsvertrags zu kündigen und bei einem anderen Versicherer neue Verträge für diese Risiken abzuschließen.
Die Abwicklung der Kündigungen erfolgte durch die von der Klägerin und ihrem Ehegatten bevollmächtigte Makler-GmbH. Dabei legte der zuständige Versicherungsmakler den Eheleuten Formularvordrucke zur Kündigung der Versicherungsverträge („Kündigungskarten“) zur Unterfertigung vor, wobei er unrichtig davon ausging, dass beim Versicherer auch ein auf die Klägerin lautender Unfallversicherungsvertrag bestehe.
Die Klägerin und ihre Ehegatte unterfertigten im Juni 2020 insgesamt fünf Vordrucke für Kündigungen, die gemeinsam mit der Vollmacht für die Makler-GmbH an die Beklagte übermittelt wurden. Eine der Kündigungen der Klägerin betraf die Sparte Lebensversicherung, die zweite Kündigung sah wie folgt aus:
Dieses Schreiben wurde von einer Mitarbeiterin des Versicherers bearbeitet, der nur diese Kündigungskarte vorlag. Von den anderen Kündigungen der Klägerin und ihres Ehegatten wusste sie zum Zeitpunkt der Bearbeitung nichts. Die Mitarbeiterin ging davon aus, dass die Klägerin den Krankenversicherungsvertrag kündigen wollte. Sie fragte weder bei der Klägerin noch bei ihrem aktuellen Versicherungsmakler nach.
Der OGH musste nun beurteilen, ob der Versicherer davon ausgehen musste, dass auch die Krankenversicherung storniert werden sollte - was die Klägerin natürlich nicht wollte:
Die Kündigung ist eine einseitige, vertragsgestaltende Willenserklärung eines Vertragspartners, die darauf gerichtet ist, den Vertrag zu beenden. Aus der Kündigung muss klar und unzweideutig zu erkennen sein, dass eine Lösung des Vertragsverhältnisses für die Zukunft beabsichtigt ist. § 914 ABGB gilt auch für einseitige Willenserklärungen. Die aus der Erklärung abzuleitenden Folgen sind nicht danach zu beurteilen, was der Erklärende sagen wollte oder was der Erklärungsempfänger darunter verstanden hat, sondern danach, wie die Erklärung bei objektiver Beurteilung der Sachlage durch einen redlichen, verständigen Menschen zu verstehen war. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist jener des Empfangs der Willenserklärung.
Die Kündigung (der Krankenversicherung) ist im konkreten Fall schon deshalb unwirksam, weil der Versicherer infolge des Grundsatzes von Treu und Glauben bei der vorliegenden objektiven Unklarheit der Kündigungserklärung zur Aufklärung durch Nachfrage beim VN oder ihrer aktuellen Vertretung verpflichtet gewesen ist, konnte doch ein redlicher Erklärungsempfänger unter Berücksichtigung der gesamten Vertragsbeziehung – insbesondere auch der die Kündigung betreffenden Versicherungssparten – und angesichts der widersprüchlichen und nur bedingt leserlichen bzw verständlichen Angaben nicht erkennen, welche Versicherung oder welche Versicherungen der VN kündigen wollte.
OGH 7 Ob 128/22g, versdb 2022, 66
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