Beschädigung einer Leitplanke nicht angezeigt - Kaskoversicherung leistungsfrei

Die Aufklärungsobliegenheit ist ein heikles Thema in der Kaskoversicherung. Der OGH entschied, dass die Kaskoversicherung bei fehlender polizeilicher Meldung eines Sachschadens (Leitplanke beschädigt) leistungsfrei sein kann (7 Ob 12/21x, versdb 2021, 21).

Die Kaskoversicherungsbedingungen enthalten folgende Bestimmung zu Obliegenheiten:

 

„Artikel 7

Was ist vor bzw nach Eintritt des Versicherungsfalles zu beachten?

(Obliegenheiten)

2. Als Obliegenheiten, die zum Zweck der Verminderung der Gefahr oder der Verhütung einer Erhöhung der Gefahr dem Versicherer gegenüber zu erfüllen sind und deren Verletzung im Zeitpunkt des Versicherungsfalles die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung gemäß den Voraussetzungen und Begrenzungen des § 6 Abs 2 VersVG (siehe Anlage) bewirkt, werden bestimmt,

2.2. dass sich der Lenker nicht in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet.

3. Als Obliegenheiten, deren Verletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung gemäß den Voraussetzungen und Begrenzungen des § 6 Abs 3 VersVG (siehe Anlage) bewirkt, werden bestimmt,

3.2. nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen;“

 

 

Der Sachverhalt

 

Der damalige Lebensgefährte der Klägerin rief sie – wie bereits vorher vereinbart – am Sonntagmorgen des 20. 12. 2015 gegen 2:30 Uhr zu Hause an und bat sie, ihn von der Weihnachtsfeier in einem Lokal abzuholen. Die Klägerin, die zuvor bereits eingeschlafen war, fuhr daraufhin mit ihrem bei der Beklagten versicherten PKW von zu Hause bergwärts in Richtung des Lokals. Es war kalt und dunkel. Schnee lag nicht auf der Fahrbahn. Die Fahrbahnoberfläche war „zunächst nicht rutschig“. An exponierten höher gelegenen Straßenstellen waren aufgrund gefrierender Feuchtigkeit Vereisungen vorhanden.

 

Als sich die Klägerin der ersten Kehre (Linkskurve) mit ungefähr 50 km/h näherte, schaltete sie vom dritten Gang in den zweiten zurück. In der Linkskurve verlor sie die Kontrolle über das Fahrzeug, dieses kam ins Rutschen und kollidierte mit der am rechten Straßenrand befindlichen Leitschiene. Durch die Kollision mit der Leitschiene wurde der PKW an der gesamten rechten Fahrzeugflanke stark beschädigt. Der rechte Scheinwerfer fiel aus. An der Leitschiene entstanden durch die Kollision Kontaktspuren. Der Leitschienensteher wurde im geringen Ausmaß durch eine nicht stark ausgeprägte Schlagspur beschädigt.

 

Durch das Unfallgeschehen war die Klägerin geschockt, weinte und zitterte. Aufgrund ihres Schockzustands dachte sie nicht daran, aus dem beschädigten Fahrzeug auszusteigen, um die Schäden am Fahrzeug zu begutachten oder die Leitschiene auf vorhandene Schäden zu prüfen. Sie wollte von der Unfallstelle nur „weg“. Sie reversierte mit dem Fahrzeug aus der Unfallendstellung, wodurch ein weiterer Schaden im Zuge der Rückwärtsfahrt im Heckbereich der rechten Fahrzeugseite zwischen der unteren Berührspur und der Heckleuchte im Seitenbereich des Fahrzeugs entstand.

 

Sie beschloss mit dem beschädigten Fahrzeug in langsamer Fahrt zum Lokal bergwärts weiter zu fahren. Durch die fortgesetzte Fahrt mit dem im Zuge der Kollision entlüfteten Reifen rollte sich das Felgenhorn auf der zusammengefalteten Reifenwand ab und es entstanden innen ein ausgeprägter Materialabtrag sowie außen Materialausbrüche und Schnitte, die durch die Kanten der Rollsplittkörner verursacht wurden. Ihr Lebensgefährte, der auf der Terrasse des Lokals auf ihr Eintreffen wartete, sah sie langsam auf der Straße fahren und bemerkte, dass sie das Fahrzeug unterhalb des Lokals anhielt. Er begab sich daraufhin zum Fahrzeug und befragte die Klägerin, die „komplett fertig und geschockt“ war. Die Klägerin ersuchte ihn, ihre Tochter telefonisch zu verständigen. Nachdem der Lebensgefährte den Wirt des Lokals gebeten hatte, das Fahrzeug dort stehen zu lassen, stellte die Klägerin ihr Fahrzeug ab. Sie und ihr Lebensgefährte wurden von ihrer Tochter abgeholt.

 

Die Klägerin verständigte nicht die Polizei. Sie ging davon aus, nachdem sie keine Schäden an der Leitschiene wahrgenommen hatte, dass für sie keine Verpflichtung zur Anzeige gegenüber der Polizei besteht. Am Montag veranlasste der Lebensgefährte den Transport des beschädigten Fahrzeugs durch einen Abschleppdienst in eine Werkstatt. Am 22. 12. 2015 (Dienstag) erstattete die von der Klägerin beauftragte Versicherungsmaklerin der Beklagten eine Schadensmeldung.

 

 

Versicherer sieht sich leistungsfrei

 

Die Beklagte wendete ein, dass sie nach § 6 Abs 3 VersVG leistungsfrei sei, weil die Klägerin, obwohl eine Beschädigung der Leitplanke deutlich erkennbar gewesen sei, den Schaden nicht der nächsten Polizeidienststelle gemeldet habe. Aufgrund der eingetretenen Schäden spreche viel dafür, dass in Wahrheit ihr Lebensgefährte das Fahrzeug in alkoholisiertem Zustand talwärts gelenkt und nach dem Unfall beim Lokal abgestellt habe. Sie habe die genauen Umstände der Schadenszufügung verschleiert, insbesondere „dass die Beschädigung [...] im alkoholisierten Zustand des Lenker“ erfolgt sei. Bei einer unverzüglichen Anzeige bei der Polizei wäre die Überprüfung möglich gewesen, „ob“ das Kollisionsgeschehen „in alkoholisiertem Zustand erfolgte oder nicht“.

 

 

Entscheidung des OGH

 

Zur Aufklärungsobliegenheit (hier Art 7.3.2. AKKB 2015) gibt es eine ständige höchstgerichtliche Rechtsprechung, wonach sie ein Versicherungsnehmer dann verletzt, wenn er einen von ihm verursachten Verkehrsunfall der nächsten Polizeidienststelle nicht meldet, sofern er zur sofortigen Anzeigeerstattung nach § 4 StVO verpflichtet ist und im konkreten Fall etwas versäumt wurde, das zur Aufklärung des Sachverhalts dienlich gewesen wäre. Die Übertretung des § 4 Abs 5 StVO ist für sich allein nicht schon einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gleich zu halten. Es ist vielmehr notwendig, dass ein konkreter Verdacht in eine bestimmte Richtung durch objektives „Unbenützbarwerden“ (objektive Beseitigung) eines Beweismittels infolge Unterlassung der Anzeige im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Der konkrete Verdacht und die Unbenützbarkeit des Beweismittels muss der Versicherer behaupten und beweisen (RS0043520).

 

Beim Unfall entstanden durch die Kollision an der Leitschiene Kontaktspuren. Der Leitschienensteher wurde in geringem Ausmaß durch eine nicht ausgeprägte Schlagspur beschädigt, was bei genauer Betrachtung in unmittelbarer Nähe sichtbar war. Es lag somit eine Beschädigung fremder Sachgüter vor. Zutreffend führte das Berufungsgericht aus, dass die Klägerin ihre Anzeigepflicht nach § 4 Abs 5 StVO missachtete, durfte sie doch in Anbetracht des Ausmaßes des Fahrzeugschadens nicht davon ausgehen, dass Spuren und Schäden an der Leitschiene nicht vorhanden sind. Aufgrund der evidenten Anstoßwucht und der Tatsache, dass der rechte Scheinwerfer ausgefallen war, musste ihr klar sein, dass auch eine Beschädigung der Leitschiene vorliegt. Diese wäre ihr auch erkennbar gewesen, wäre sie aus dem Fahrzeug ausgestiegen. Dass die Klägerin ihr Handy nicht bei sich hatte, entband sie nicht von der Verständigung der nächstgelegenen Polizeidienststelle, verfügte sie doch beim Lokal, zu dem sie noch mit dem stark beschädigten Fahrzeug gefahren war, über entsprechende Möglichkeiten.

 

Der Beklagten gelang es auch, eine konkrete Verdachtslage für eine allfällige Alkoholisierung der Klägerin zu beweisen. Es steht nicht fest, dass die Fahrbahn an der Unfallstelle rutschig war, es lang kein Schnee. Sie fuhr in der Vorweihnachtszeit, am frühen Morgen und verlor in der Kurve (ohne erkennbare Ursache) die Kontrolle über ihr Fahrzeug, das zum Rutschen kam und mit der am rechten Straßenrand befindlichen Leitschiene kollidierte. Dies begründet bereits eine ausreichende Verdachtslage für eine mögliche Alkoholisierung der Klägerin, die vor dem Unfall bereits geschlafen hatte.

 

Die Klägerin war – nach den Feststellungen – nach dem Unfall geschockt, weinte und zitterte. Sie dachte aufgrund ihres Schockzustands nicht daran, aus dem beschädigten Fahrzeug auszusteigen. Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, entlastet ein bloßer Unfallschreck nicht vom Vorwurf vorsätzlicher Verletzung der Obliegenheit. Hiezu ist vielmehr eine dermaßen starke Zerrüttung der Bewusstseinsbildung und Willensbildung der betroffenen Person erforderlich, dass diese als „unzurechnungsfähig“ anzusehen wäre (RS0081381; zuletzt 7 Ob 231/05d). Dies ist aber nach den Verhaltensweisen der Klägerin unmittelbar nach dem Unfall keineswegs anzunehmen. Sie legte nach dem Unfall eine längere Strecke mit dem Fahrzeug bis zum Lokal zurück was ein bewusstes, zielgerichtetes Handeln darstellt, sodass sie trotz ihres Schockzustands zumindest dort in der Lage gewesen sein musste, die Polizei zu verständigen. Damit steht jedenfalls eine grob fahrlässige Verletzung der Verpflichtung nach § 4 Abs 5 StVO und der allgemeinen Aufklärungsobliegenheit fest.

 

Das Erstgericht gelangte zur Feststellung, dass die Klägerin vor der Fahrt keinen Alkohol konsumierte und weder übermüdet noch durch Suchtmittel beeinträchtigt war, bloß durch Beweiswürdigung nur unzureichender, nicht gleichwertiger Beweismittel. Es stützte sich auf die Aussage der Klägerin und ihre Angaben in einem „Ergänzenden Fragebogen“ rund drei Wochen nach dem Unfall. Der vom Erstgericht gerade nicht festgestellte Alkoholkonsum basiert nicht auf objektiver Beweisgrundlage. Hätte die Klägerin ihrer Aufklärungsobliegenheit entsprochen und den von ihr verursachten Unfall der nächsten Polizeidienststelle gemeldet, hätte der Verdacht ihrer Alkoholisierung objektiv ausgeschlossen werden können. Ihre Aussage allein ist einer objektiven Beweislage nicht gleichwertig. Gleiches gilt für die Präzisierung der Unfallstelle.

 

Die Beklagte ist infolge Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach Art 7.3.2. AKKB 2015 leistungsfrei.